Hartes Schicksal

Gestern Abend ließ die Fähre lange auf sich warten. Um 23:10 Uhr sollte sie auslaufen, doch um 22 Uhr ist sie noch nicht mal ansatzweiße in Sicht. Die werden sie doch wohl nicht gestrichen haben? Nein haben sie nicht. Um halb 11 läuft sie in den Hafen ein. Ein mächtiges Schiff, das viel zu groß aussieht für den kleinen Hafen. Eine Unmenge an Menschen haben sich bereits versammelt. Es scheint voll zu werden.

Wir dürfen auffahren und die Räder parken. Nachdem wir alles haben begeben wir uns an Deck. Es ist bereits schon alles voll, da die Fußgänger mittels Rolltreppe nach oben chauffiert wurden.

20150602_0317_P1070879_TZ10Wir haben das billigste Ticket was wir bekommen konnten. Das sogenannte Deck-Ticket. Das heißt uns steht kein spezieller Sitzplatz zu und schon gar nicht ein Bett. Soll nicht weiter stören, wir haben unsere Isomatten dabei, die wir einfach irgendwo ausbreiten werden. Die Schifffahrt beträgt 7 Stunden, die werden wir schon rum bekommen.
Auf der Suche nach einem ruhigen und warmen Plätzchen stolpern wir über Fasard, Mariam und Corsa. Ein junge afghanische Familie mit trauriger Geschichte. Wir verbringen die komplette Nacht mit ihnen und trennen uns erst als das Schiff im Athener Hafen anlegt.
Alle drei können sehr gut Englisch, selbst die 7 jährige Corsa und so erfahren wir viel über sie. Sie lebten bis vor kurzem noch in Kabul. Fasards Schwager ist Sprecher im Innenministerium. Somit hat er viele Wahrheiten über unter anderem die Taliban geäußert. Er selbst und seine Familie genießen Personenschutz, doch natürlich nicht die ganze Großfamilie. Dies wurde nun der ganzen Sippe zum Verhängnis. Sie sind nicht mehr sicher in ihrem eigenen Land weshalb sie nun auf der Flucht sind. Allerdings nicht alleine. Auf ihrem Weg trafen sie immer mehr, die auch das Land verlassen wollten. Zu guter Letzt befanden sie sich in einer Gruppe von ca. 100 Flüchtlingen. Seit 4 Wochen sind sie nun unterwegs. Größtenteils zu Fuß, wenn es sein muss Tag und Nacht. Fasards Eltern und seine Schwester haben die Flucht nach Pakistan angetreten, sie wissen oft tagelang nicht ob die anderen noch Leben und wie es Ihnen geht. Sie berichten uns fürchterliche Geschichten. Eine Nacht und Nebel Aktion beim Überqueren der Grenze über die Berge in den Iran. Mariam hatte sich dabei schwer am Fuß verletzt, da sie natürlich ohne Licht durch das Geröll kraxeln mussten. Weiterhin wie sie z.B. von der Türkei in der Dunkelheit mit einem kleinen Boot auf die Insel Lesvos übersetzten. Eine Gruppe von Flüchtlingen kaufte sich bei einem Türken ein Holzboot, ca. 6 Meter lang und 2 Meter breit. Der Händler schickte sie mit dem Boot ins Wasser und zeigte auf ein Licht, das in der Ferne zu sehen war. „Dort müsst ihr ankommen!“ Er wieß noch einen der Flüchtlinge in das Boot ein (Steuerung etc.) und überließ sie dann sich selbst. An die 45 Menschen waren auf dem Boot. Fasard hat alleine für seine Familie 3500 US Dollar gezahlt! Kaum vorstellbar was dieser Türke in dieser einen Nacht an Geld verdient hat.
Nach 2 Stunden Fahrt kamen sie nass und durchgefroren auf der Insel an. Nach weiteren Stunden Fußmarsch erreichten sie das Flüchtlingslager. Nun dürfen sie 1 Monat in Griechenland bleiben, dann müssen sie das Land verlassen. Mit der Fähre dürfen sie nun alle offiziell nach Athen fahren.
Wir unterhalten uns bis in die frühen Morgenstunden mit ihnen. Sebastian lauscht den Hoffnungen und Wünschen von Fasard und Mariam. Sie haben Tränen in den Augen als sie erzählen. Zwischenzeitlich quasselt mir die kleine Corsa die Ohren ab. Sie erzählt mir von blöden Flüchtlingsjungen, die sie ärgerten und beschimpften, von den blutigen Füßen ihrer Mutter nach einem tagelangen Fußmarsch, von einer Frau die gestern im Flüchtlingslager ihr Kind zur Welt gebracht hat, sie zeigt mir ihre unzähligen Milchzahnlücken und gesteht mir, das sie auf der großen Fähre Angst hat. Warum? Die Fähre kann untergehen und sie kann nur dort schwimmen wo sie selbst noch stehen kann.
Sebastian und ich sind völlig betroffen. Wir überlegen wie wir ihnen helfen können. Zu allererst schleift Sebastian so gut wie alles Essen heran, das wir noch bei uns haben, sowie etwas zu trinken. Wir überlegten auch noch welche Kleidung wir ihnen von uns geben könnten, denn sie haben so gut wie nichts. Max. ein T-shirt zum Wechseln. Doch wir kommen nicht mehr an unsere Räder heran und so bleibt uns nur ein Buff-Tuch in Deutschland-Farben. Corsa freute sich riesig darüber. Wir haben so viel über diese Familie erfahren und wir wünschten wir könnten ihnen irgendwie helfen. Diese Drei würden mit Sicherheit in Deutschland Fuß fassen können. Allein schon deshalb da sie perfekt Englisch sprechen, sich anderer Kulturen bewusst und gebildet sind ( Fasard war Manager bei einer Bank und Mariam war Lehrerin).
Als wir Athen erreichen bleibt uns nur „Lebewohl“ zu sagen und ihnen die Daumen zu drücken, dass sie Deutschland sicher und gesund erreichen und dort auch nicht gleich abgewiesen werden. Vielleicht können wir sie eines Tages willkommen heißen. Inshallah! Nun werden sie erst einmal im Athener Flüchtlingslager unterkommen und sehen wie es weiter gehen wird.
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Wir radeln in die Stadt hinein. Zuerst auf der Autobahn, dann auf kleinen Sträßchen. Es ist recht verzwickt, da es überall Einbahnstraßen gibt. Sebastian möchte gerne an der deutschen Botschaft vorbei. Er will sehen ob es da ein paar politische Schmiererein gibt. Allerdings können wir die Botschaft nicht finden. So radeln wir weiter zur Akropolis bzw. in deren Nähe. Zum Mittagessen kehren wir in einem kleinen Restaurant ein. 20150602_1330_IMG_4034_E1Es stand auf warmshower, das es jedem Langzeitradler eine Mahlzeit spendiert. Und so war es auch. Nebenbei sucht Sebastian Hotels im Internet heraus. Es wird eine teure Angelegenheit werden. Schlussendlich entscheiden wir uns für ein Hotel, knapp 50 € die Nacht. Auf dem Weg dort hin entdecken wir noch ein anderes. Sebastian springt schnell hinein und erkundigt sich nach den Zimmerpreisen. 25€! Na super, das nehmen wir doch. Die Lage ist nicht gerade attraktiv aber die Zimmer sauber. Beim Einzug sprang noch schnell der Klempner vorne weg. „Sorry my friend, small job, 5 minutes!“ Was macht der denn? Er tauschte schnell die Duschamaturen aus, nun haben wir eine Funkel-Nagel-Neue 🙂
Es ist 15 Uhr, da falle ich in einen dreistündigen, koma-ähnlichen Schlaf. Die Nacht war viel zu kurz und aufregend und die Stadt hat meine Nerven schon wieder reichlich strapaziert. Währenddessen recherchiert Sebastian sämtliche Dinge im Internet und macht Pläne für den nächsten Tag. Es steckt halt doch ein bisschen der Planer und „Touri-Guide“ in ihm 😀 Momentan bin ich von Athen absolut nicht begeistert. Ich suche noch immer vergeblich nach einem „Zentrum“. Dort wo sich ShoppingMeilen befinden, Touristen flanieren und man einen Blick auf die Akropolis hat. So etwas hatte bisher jede Stadt, doch in Athen konnten wir es noch nicht sehen.

4 Gedanken zu „Hartes Schicksal

  1. Sebastian

    Wir haben gestern ein E-mail von Fazard bekommen. Sie sind noch in Athen, Ihnen geht es gut, doch sie kommen aktuell nicht weiter, warum wissen wir nicht. Kausar freue sich sehr über unsere deutsche „Fahne“.

  2. Sigrid und Karl

    Versucht es mal am Syntagma-Platz, da kann man außerdem die Wachablösung beobachten. Es gibt Cafes mit – allerdings- ziemlich teurem griechischen Kaffee….Die Altstadt besteht nur aus der Plaka und die ist schon sehr touristisch. Der Omoniaplatz ist für uns auch immer ein schöner Anlaufpunkt, aber das mag auch nostalgische Gründe haben…. Athen ist eben ein Moloch. Wir sind mit dem Rad eigentlich ganz gut durchgekommen, aber wir waren auch schon oft dort und können uns ein wenig orientieren,
    kalo taxidi (Gute Reise) weiterhin
    hugs and kisses from far away
    Sigrid und Karl

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