„Komm Schatzi, Oma gibt dir Wasser!“

Glamoc ist ein kleines verschlafenes Dörfchen, zumindest als wir dort um 8 Uhr ankamen. Wir tätigten einen Einkauf und radelten dann weiter. Nach 10 km verließen wir die Hauptstraße und fuhren auf einer kleinen und schottrigen Landstraße nach Drvar. Die Landschaft war nach wie vor recht karg aber dennoch hatte sie etwas schönes. Beim ersten Dorf, das wir passierten, sahen wir eine Frau beim Hühner ausnehmen. Ihre Tätigkeit fanden wir weniger ansprechend umso mehr aber ihren Gartenschlauch der nicht weit von ihr entfernt lag. Wir hielten an und baten sie darum unsere Flaschen füllen zu dürfen. „Kein Problem, nehmt so viel ihr wollt. Wollt ihr vielleicht noch ein bisschen Hühnerfleisch?“ Sie wedelte mit Fleischbrocken vor unserer Nase herum. „Oh danke, nein, wie sollen wir das denn transportieren?“ Wir verabschiedeten uns und fuhren weiter.

Die Schotterstraße war gut befahrbar und so kamen wir problemlos voran, zumal es auch noch schön flach war. Wir radelten durch trockene Wiesen, die ganz merkwürdige Krater haben. Als würde man auf einem Käse spazieren gehen. Überall große Löcher/Krater. Sind das vielleicht Bombeneinschläge? Die wenigen Dörfer die wir sahen waren alle verlassen. Häuserruinen waren die letzten Zeugen, dass hier mal jemand gelebt hatte.

Es ging auf 12 Uhr zu, es war schon wieder unerträglich heiß und unser Wasser war fast aufgebraucht. Nur noch letzte Notreserven. Wir erreichten ein Dorf und sahen am ersten Haus, dass dort Wäsche hing. Das ist die Chance! Wenn das Dorf sonst genauso bewohnt ist, wie die letzten auch, dann müssen wir nun hier nach fragen. So hielten wir an und stellten die Räder am Straßenrand ab, nahmen unsere Flaschen und liefen zum Haus hinab. Schon von außen sah es sehr ärmlich aus. Verputz hatte das Haus gar keinen, die rohen roten Backsteine hatten teilweise Löcher und die Fenster sahen auch alles andere als winddicht aus. Ein kleiner Zaun umgab das Häuschen, so standen wir davor und riefen „Hallo“. Nichts geschah. Wir riefen noch einmal. Plötzlich ertönten Stimmen, als würden sich zwei streiten, richtig laut. Oh je, wo sind wir hier nur gelandet? Wir wagten trotzdem noch einen Versuch und siehe da, eine sehr stämmige, alte, in unendlich viele Stofffetzen verpackte Frau kam aus dem Haus heraus. Sie grüßte freundlich und wir zeigten ihr die Flaschen und sagten „Voda?“. Natürlich. Sie öffnete uns das Gartentörchen und winkte uns herein, dann wollte sie sogleich wissen wo wir her kommen. „Aus Deutschland? Dann können wir ja deutsch sprechen. Ich wohne in Aachen.“ ach was? Und was machen Sie hier? Sie ist zu Besuch bei ihrer Schwester und hilft ihr wo sie nur kann, bzw. soweit sie selbst noch kann. Sie nimmt Sebastian am Arm: „Komm Schatzi, Oma gibt dir Wasser!“ Sie führt uns in eine kleine Kammer und holt dort Wasser aus einer Art Brunnen. Sie spricht ohne Unterlass, freut sich scheinbar über die Ansprache die sie nun hat. Dafür, dass sie schon lange in Deutschland wohnt ist ihr deutsch recht schlecht. Immer wieder sucht sie nach Worten, wenn sie ihr nicht einfallen, müssen wir raten oder uns unseren Teil denken. Es ist mühsam, doch sie ist hin und weg von uns. Während sie uns erzählt und erzählt, schreit immer wieder irgendjemand aus dem Haus heraus. Es scheint die Schwester zu sein, die alt und krank und faul ist. (So bekommen wir es gesagt.) Mit Wasser holen ist es nicht getan, die alte Dame ist der Meinung wir seien hungrig und da sie ja gerade im Moment Polenta (Maisbrei) gekocht hat, müssen wir nun auf einer Gartenbank in der prallen Sonne Platz nehmen und etwas essen. Wir können nicht anders und müssen bleiben. So sitzen wir auf der Bank und unsere Blicke schweifen umher. Beim alleinigen Anblick der Umgebung wird es einem eigentlich schon schlecht und von Appetit ist keine Rede mehr. Es riecht streng nach ungewaschener Unterwäsche und ungepflegten Mensch, überall liegt Müll herum, in Kochtöpfen liegen eingeweichte braune Lumpen, ich muss unweigerlich an meine Zeit im ambulanten Dienst denken. Da hatte ich auch so manch einen Haushalt betreten, bei dem mir von vorne herein klar war: „Hier versuche ich, so wenig wie möglich anzufassen und nichts zu essen!“
Doch was mache ich nun? Jetzt sitzen wir hier, im Haus schreien wieder die zwei Frauen herum und jeden Moment werden wir Essen serviert bekommen. Oh je… Die Frau kommt wieder heraus. „Hier, Oma hat euch Polenta mit Käse gemacht. Probiert bitte! Wenn es schmeckt, sagt Bescheid, Oma hat noch mehr für euch!“ Ich beobachte ihre Hände und die Löffel die sie uns bringt. Sie sehen eigentlich sauber aus. Okay, dann Augen zu und durch. Die Polenta schmeckte gut, es gab noch Nachschlag, anstatt Käse dann aber mit Joghurt. Oma war hin und weg und wie im siebten Himmel. Sie erzählte ohne Unterlass und irgendwann traute sich dann auch die Schwester aus dem Haus heraus. Ebenso ein wuchtiger Koloss wie Oma, aber noch mehr in Stofffetzen gehüllt, sie sieht deutlich älter aus und nutzt beim Gehen geschickt zwei Holzstöcke. Ihr Oberkörper ist stark nach vorne gebeugt, irgendwie hat sie Ähnlichkeit mit einem Trampeltier. Sie grinst schelmisch unter ihrem Kopftuch hervor und schreit ganz laut „Hallo“. Sie scheint schwerhörig zu sein. Oma erzählt uns, dass ihre Schwester krank und vor allem faul sei. Sie müsse mehr laufen, aber das tue sie nicht. Wenn sie steht setzt sie sich sofort wieder hin. Die Tage wollte sie ihr bei der Körperpflege helfen, doch die Schwester meinte nur: „Wozu?“ Es ist ein heißes Gespann, die zwei, und in Deutschland wären sie auf jeden Fall ein Fall für die ambulante Pflege. Wir können uns kaum vorstellen wie diese alte Dame hier alleine wohnen kann, ohne Strom und fließend Wasser. Im Dorf wohnen nur noch 2 Männer! Unglaublich.
Während wir versuchen uns langsam aber sicher von den beiden Grazien zu lösen, fällt Oma ein, dass sie mich komplett neu einkleiden könnte. Sie gruschtelt in ihren Schränken und bringt mir eine Leinenhose. Die sei definitiv besser, als das was ich da an habe. Ich soll sie mitnehmen. Ich kann sie nicht davon überzeugen, dass ich das nicht brauche und da es alles nur gut gemeint ist von ihr, nehme ich ihr Geschenk höflich an. Diese Hose war beiden eh viel zu klein, die hätten sie wohl selber nie wieder tragen können. Eine Bluse jedoch kann ich erfolgreich ablehnen. Irgendwie ist es ein lustiges Schauspiel, wir hätten es gerne gefilmt doch wir trauten uns noch nicht einmal ein Foto zu machen. Die beiden Damen waren der Knaller. Kurz bevor wir dann endlich gehen konnten bzw. durften erklärte uns die Oma, dass das Wasser was wir von ihr haben, Regenwasser sei. Wie bitte? Na gut das wir das wissen. Die Schwester schrie jedoch gleich lauthals und wild gestikulierend dass sie das auch trinkt und alles sei gut. Na das überlegen wir uns dann lieber noch einmal. Nach über einer Stunde stehen wir dann endlich wieder bei unseren Rädern und überlegen uns was wir nun mit dem Wasser tun sollen, weshalb wir ja eigentlich auch angehalten hatten. Da wir nicht wissen wann wir das nächste Mal Wasser bekommen und wie der Weg bis dort hin sein wird, schmeißen wir Chlortabletten hinein und radeln weiter. Die womöglich ausgewaschenen Schadstoffe aus der Luft bekommen wir so natürlich nicht heraus, doch aber zumindest die evtl. vorhandenen Bakterien und Viren. Doch wir haben Glück, es dauerte nicht lange, da hatten wir wieder Asphalt unter den Rädern und es ging viel bergab. So erreichten wir das Städtchen Drvar ohne das wir größere Mengen von diesem Regenwasser konsumieren mussten. In Drvar stürmten wir erst einmal in einen Einkaufsladen und versorgten uns mit Getränken und Eis. Apropos Eis: Magnum, Nestle, Schöller und Co, die können sich alle mal warm anziehen. In Kroatien wird Eis produziert, das ist allererste Sahne!! So ein geniales „Magnum“ haben wir noch nie gegessen.

Nachdem wir uns ausgeruht hatten besuchten wir eine Höhle. Die hatte uns heute ein Serbe empfohlen. Die Höhle allerdings ist wohl erst richtig imposant wenn Wasser fließt. Bei uns war sie leider, wie alles hier, staubtrocken. Die Höhle liegt in einem kleinen Park, dieser hat sogar einen Souveniershop und es muss wohl ein Fest gewesen sein oder steht noch an, denn eine Bühne steht mitten drin. Drvar hat sogar ein gut aussehendes Hotel und irgendwie käme mir eine ordentliche Dusche, ein bequemes Bett und ein klimatisiertes Zimmer heute gerade recht. So halten wir dort an und ich frage nach einem Zimmer. Doch mir wird der Schlüsselschrank gezeigt, in dem kein einziger Schlüssel mehr hängt. Alles ausgebucht. Eine Sportmannschaft wohnt gerade hier. Schade. So beschließen wir in den Park zurück zu fahren, dort gibt es genügend Platz. Wie sich herausstellt spricht die Dame des Souvenirshops deutsch, sie sagt es sei überhaupt kein Problem, dass wir hier schlafen wollen. Wir seien hier in Bosnien und nicht in Deutschland. Wo sie recht hat, hat sie recht. Ein Mann sitzt bei ihr. Er kann nur wenig Englisch, so übersetzt die Frau für uns. Er ist der „Bewacher“ der Bühne. Er zeigt uns seinen Schlafplatz auf bzw. unter der Bühne, wir dürfen dahinter unser Zelt aufbauen. So haben wir unseren Security-Mann gleich zur Seite. Da fühle ich mich doch besonders wohl!!
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2 Gedanken zu „„Komm Schatzi, Oma gibt dir Wasser!“

  1. Daniel

    Die Löcher sind keine Krater sondern Dolinen. Ihr seid im Karst angelangt und dürft euch nicht unbedingt wundern, wenn ihr kein Oberflächenwasser findet und Brunnen eher trocken sind.

    Wir fahren nächste Woche für 3 Wochen durch Tschechien. Pia will selbst radeln. Bin mal gespannt wie das wird.

    Liebe Grüße,
    Daniel

    1. Sebastian

      Danke, wikipedia hat uns weiterhin über die Dolinen aufgeklärt. Das mit dem Wasser haben wir zum Glück gut überstanden. 3 Wochen durch Tschechien klingt toll, wir warten dann mal auf eine Berichtsemail natürlich inkl. Bilder. Viel Spaß euch dann mal!

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