Zu Gast bei Juro

Ich wache ungewohnt früh auf und bin hellwach, so stehe ich bald auf und wage mich vor das Zelt. Ich sehe mich ein wenig um und der Ärger von gestern ist fast vergessen. Es ist toll hier! Der Blick auf den See, in die andere Richtung unterschiedliche Bergformationen, klasse! Es ist ziemlich bewölkt, doch die Sonne ist schon dabei sich durch die Wolken zu kämpfen. Da es gestern Abend so spät war und keine Zeit mehr für eine Wäsche, finde ich, dass nun der perfekte Zeitpunkt ist und stürze mich in die Fluten. Herrlich so ein erfrischendes Bad am Morgen. Das Wasser ist erstaunlich warm. Frisch gebadet kehre ich zum Zelt zurück, wo sich Sebastian auch gerade aus dem Schlafsack geschält hat. Wir setzen uns in die Sonne, frühstücken und überlegen was wir nun tun wollen.


Gestern Abend sind wir, in der Dunkelheit, an einem See vorbei gefahren, ein Salzsee. Er ist in unmittelbarer Nähe, so beschließen wir nochmals die paar Meter zurück zu radeln und dann unsere Fahrt in die richtige Richtung fortzusetzen. Der See ist schnell erreicht und Sebastian nutzt die Chance um ein Bad darin zu nehmen. Das Wasser ist ziemlich kalt, weshalb er nach wenigen Minuten schon wieder an Land steht. Da Salzwasser auf der Haut ein klebriges Gefühl hinterlässt, fahren wir nochmals zu unserem Nachtplatz von wo aus er schnell in den Issyk-Kul hüpft und sich abwäscht. Dann geht es weiter immer am See entlang. Der Weg ist recht sandig, immer wieder überqueren wir trockene Bachbetten, es ist toll hier! Wir halten sehr oft an um uns einfach nur die Landschaft anzusehen oder Bilder zu machen. Nach ca. 15 km verlassen wir den See und fahren in einem trockenen Bachbett wieder zurück zur Hauptstraße. Wir haben das Gefühl durch einen winzigen Canyon zu radeln, ca 10 km lang. Nach 3 Stunden erreichen wir wieder die Hauptstraße. Wenn wir an gestern Abend denken, wie wir im Zelt saßen und geflucht haben drüber, dass wir diesen Umweg gewählt haben, dann müssen wir schmunzeln. 🙂 Der Umweg hat sich auf alle Fälle gelohnt. Wir haben zwar deutlich mehr Zeit benötigt aber viele tolle Dinge gesehen.

Wir setzen die Fahrt auf der Hauptstraße fort, mal mehr mal weniger nah am See. Der Himmel weiß heute nicht so recht was er will. Manchmal herrscht purer Sonnenschein und dann plötzlich ziehen tiefe, dunkle Wolken auf, die nach Regen aussehen. Bis auf wenige, nicht erwähnenswerte Tropfen kam jedoch nichts herunter. Relativ früh halten wir Ausschau nach einem Nachtplatz am See, es ist ca. 16 Uhr. Während wir an der Straße stehen und zum Ufer blicken, hält ein Auto an. Ein älterer Herr springt heraus und kommt auf uns zu. Auf russisch, sagt er seinen Namen und fragt wie wir heißen, dann versucht er uns irgendetwas klar zu machen, was wir nicht gleich verstehen. Erst nachdem der Mann vollen Körpereinsatz geleistet hat, wissen wir, dass er uns nach Hause einlädt, hierzu müssen wir noch 2 km fahren. Wir sollen dem Auto folgen. Warum nicht? Er scheint sehr freundlich und wir wollen doch die Kirgisen kennen lernen. Also fahren wir ihm und seinem Begleiter hinterher. Wir kommen in eine Ortschaft die sehr touristisch aussieht. Es gibt eine kleine Tourist-Info und unzählige Hotels bzw. private Unterkünfte. Wir biegen in eine Seitenstraße ab und als wir das Haus sehen, in dem der Herr zu wohnen scheint, fällt uns der Groschen: Da will wohl jemand Geld machen und den Radlern eine Bleibe für die Nacht andrehen!? Das gefällt uns gar nicht. Ehe wir uns versehen, stehen wir mit Sack und Pack in seinem Garten. Er holt einen Schlüssel und zeigt uns ein Zimmer sowie das Bad. Es sieht alles sehr neu aus. Wir machen ihm mit Händen und Füßen klar, dass wir hier nicht schlafen wollen, dies sei nicht in unserem Budget. Er nickt und sagt es kostet „Null“. Ehe wir noch etwas sagen können, geht es weiter, er will uns seinen, im wahrsten Sinne des Wortes, verwilderten Garten zeigen. Der Garten ist sehr groß, verwinkelt und voller Unkraut und Unrat. Man muss sich auskennen um all das zu finden was hier schmackhaft ist und wächst. Doch es ist alles dabei: Pfirsich, Aprikosen, Kirschen, Birnen, Äpfel, Erdbeeren, Pilze, Tomaten und ein „Vodka-Baum“ 😀 Er zeigt uns ein ganz kleines Pflänzchen, das man im hohen Gras kaum sieht. Es ist ein Bäumchen, das er sich da zieht, anscheinend ein Birnen-Baum, wenn wir ihn richtig verstanden haben. Allerdings lagen direkt daneben 3 Vodka-Flaschen, deshalb ist es der Vodka-Baum. Nachdem der Rundgang beendet ist, fragt er uns ob wir erst duschen oder einen Cay trinken wollen. Wir sind für Tee und folgen ihm in seine unaufgeräumte Küche. Der Küchentisch ist voller Essen und Geschirr. Anstatt Tee gibt es dann erst einmal Suppe, die schon fertig auf dem Herd steht und nur darauf wartet nochmals heiß gemacht zu werden. Dazu gibt es Brot. Sie schmeckt gut. Währenddessen berichtet er uns (auf russisch und wieder mit vollem Körpereinsatz), dass er Kinder hat die in Bremerhaven leben, dass seine Mutter in Bishkek und seine Frau in Russland lebt und er ein Russe sei. Das Haus und den Garten macht er ganz alleine. Dann fällt ihm plötzlich ein, dass wir ja Tee trinken wollten, er kocht Wasser, das er im weiteren Verlauf noch 3x zum Kochen bringt, da er es ständig vergisst. Außerdem kommt ihm der Gedanke, dass Tee ja was ganz außergewöhnliches sei, er habe was anderes, wir sollen auf ihn warten. Er verschwindet und kommt wieder mit zwei Schnapsgläsern. In meinem ist ein fruchtiger Kirschlikör, in Sebastians Glas ist ebenfalls Kirschlikör gestreckt mit Vodka. Es ist nicht zu fassen. Der Mann, auch Juro genannt, bringt die beiden Getränke herbei und dann wird kräftig ausgeschenkt. Ich bekomme die „Frauen-Variante“, Kirschlikör pur (das beschließt er!) und Sebastian und er selbst bekommen die „Männer-Version“, Likör mit Schuss. Denn, das macht seiner Meinung nach, groß und stark. Sebastian sei zwar schon groß, aber mit einem Griff an seine Oberarme, diagnostiziert Juro, dass Sebastian schwach ist. Also schenkt er nochmals aus. Mittlerweile hat Juro drei Kurze getrunken und wird sehr distanzlos. Er rückt uns sehr auf die Pelle, vor allem Sebastian. Ständig klatscht er ihm herzhaft auf die Schulter, struppelt ihm durchs Haar, denn er ist der Meinung, dass dies unbedingt gewaschen werden müsste und außerdem seien sie Freunde, weshalb er allen Grund darin sieht, Sebastian immer wieder kräftig zu umarmen. Mir wird der Mann zunehmend unheimlicher, als er dann noch Sebastian empfiehlt jetzt mal duschen zu gehen, läuten in mir alle Glocken. Garantiert werde ich nicht mit diesem Mann alleine in der Küche bleiben, dann geh ich auch duschen oder sperre mich im Zimmer ein. Sebastian behagt die ganze Situation auch nicht und ein Blick auf die Uhr verrät uns, dass es erst 18 Uhr ist. Somit beschließen wir die ganze Sache hier und jetzt zu beenden, was heißen soll: Wir stehen auf und gehen. Juro versteht erst was los ist, als er sieht, dass ich mein Rad nehme und Richtung Gartentor schiebe. Er versucht uns zu dazubehalten doch wir sind uns einig: Wir gehen!! So schwingen wir uns aufs Rad, ziehen davon und lassen den völlig irritierten Juro am Gartentor stehen. Er tut mir irgendwie leid, doch der Gedanke, wie sich der Abend nach weiteren Schnäpsen entwickelt hätte, bekommt mir nicht und leider mussten wir ihn einfach so ins kalte Wasser schmeißen. Großartige Erklärungen abliefern, weshalb wir jetzt gehen wollen, hätte eh nicht funktioniert, da er nur russisch sprach und auch verstand. Nunja, ob er nun mit uns schnäpselt oder alleine aus Frust, dass macht nun auch keinen großen Unterschied mehr.
Wir radeln 2-3 km und suchen dann ein Plätzchen am See. Dort steigen wir zu aller erst ins Wasser um uns zu waschen, das war doch zu viel Körperkontakt mit Juro.
Mein Kopf fühlt sich im Übrigen an wie eine Glühbirne. Der Likör war doch recht stark, auch ohne Vodka!

Schreibe einen Kommentar